Doro Moritz über PEGIDA

Ansprache der GEW-Landesvorsitzenden Doro Moritz bei der Anti-Pegida-Kundgebung am Montag, 5. Januar 2015, Schlossplatz Stuttgart

 

 (Es gilt das gesprochene Wort. Sperrfrist: 05.01.15, 17 Uhr)

 

Liebe Bürgerinnen, liebe Bürger,
liebe Flüchtlinge,
liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,

Menschen in großer Not kommen zu uns nach Deutschland, weil sie ein menschenwürdiges Leben suchen. Sie kommen, weil sie dort, wo bisher ihre Heimat war, in unvorstellbarer Angst um ihr Leben, um das ihrer Liebsten, waren. Sie kommen, weil sie und ihre Angehörigen in ihrer Heimat unvorstellbare Gräueltaten erlebten und unter diesen Umständen vielfach Familienmitglieder ihr Leben verloren haben. Sie fliehen und erleben dabei fürchterliches Leid, Grausamkeit und Todesangst. Diese Menschen kommen zu uns, weil sie daran glauben, dass sie im demokratischen Deutschland nicht nur Zuflucht finden. Sie glauben daran, dass die Menschenrechte hier gelten. Sie glauben daran, dass die Würde des Menschen unantastbar ist – egal welcher Staatsangehörigkeit, Nationalität, Ethnie, Religion oder Weltanschauung sie angehören.

Wir, die wir hier stehen, wollen ihnen nicht nur diesen Glauben erhalten, wir wollen dazu beitragen, dass das gelebte Praxis in unserem Land, in unserer Zivilgesellschaft, in der Arbeitswelt, in den Bildungseinrichtungen, bei jeder Form des Zusammenlebens ist. 

Es ist nicht der Islam, den wir als Bedrohung betrachten müssen. Was wir ablehnen und womit wir uns auseinandersetzen müssen, sind Diskriminierungen und Verbrechen, die unter Missbrauch der islamischen Religionslehre stattfinden. Damit müssen wir uns auseinandersetzen, so wie wir uns auch mit anderem Unrecht auseinandersetzen. Und wir wehren uns dagegen, dass die Menschen, die in Deutschland ein besseres Leben suchen, ausgegrenzt und kriminalisiert werden.  Wir setzen denen, die Fremdenhass, Aggression, Vorurteile und Gewalt schüren, die Stimmung gegen Flüchtlinge, Migrantinnen und Migranten machen, unser entschiedenes Handeln entgegen, indem wir mit unseren Möglichkeiten Flüchtlinge unterstützen, Solidarität üben und jeglicher Diskriminierung mit Zivilcourage entgegentreten. Wir begegnen ihnen so, wie wir wollen, dass auch uns in der Fremde begegnet wird. Wir heißen die Flüchtlinge und alle Menschen, die zu uns kommen, willkommen!

Als Bildungsgewerkschaft stehen für uns die Kinder und Jugendlichen in den Bildungseinrichtungen im Fokus:
Ich fordere alle Pädagoginnen und Pädagogen auf, sich einzumischen: Auf dem Schulhof, im Klassenzimmer und auf Klassenfahrt darf Diskriminierung und Fremdenfeindlichkeit nicht ignoriert werden! Pädagoginnen und Pädagogen müssen Vorbild sein!

Schulen müssen durch Information, Aufklärung und Diskussion Diskriminierung, Fremdenhass und Intoleranz den Nährboden entziehen. Die Pegida-Unterstützer zeigen uns, wie notwendig es ist, zu Toleranz, zur Akzeptanz von Vielfalt, zur Wertschätzung und Anerkennung von Anderssein zu erziehen.  

Deshalb hat sich die GEW Baden-Württemberg in der Bildungsplanreform sehr klar für die Verankerung der Leitperspektive „Bildung für Toleranz und Akzeptanz von Vielfalt“ im Sinne der Befähigung zu Toleranz und Akzeptanz sowie zum diskriminierungsfreien Umgang mit Vielfalt in personaler, religiöser, geschlechtlicher, kultureller, ethnischer und sozialer Hinsicht ausgesprochen. Wir haben vor einem Jahr erlebt, wie christlicher Fundamentalismus und namentlich Mitglieder der AfD (Alternative für Deutschland) genau das zu verhindern versuchten, als es um die sexuelle Vielfalt in den Bildungsplänen ging. Wir sehen Vielfalt als Chance und Bereicherung und wollen ein buntes Deutschland! 

Schule muss Schülerinnen und Schüler in die Lage versetzen, eigene Wertvorstellungen und Haltungen zu reflektieren und weiterzuentwickeln, Probleme und Konflikte friedlich zu lösen bzw. auszuhalten, Empathie für andere zu entwickeln und sich selbst bezüglich des eigenen Denkens und Fühlens zu artikulieren wie auch zu relativieren. Maßstab für Identitätsbildung und Dialog sind die Würde des Menschen und das Menschenbild, wie sie in Grundgesetz, Landesverfassung und Schulgesetz niedergelegt sind. Das macht eine moderne Gesellschaft aus! Kernanliegen der Leitperspektive ist es, Respekt sowie die gegenseitige Achtung und Wertschätzung von Verschiedenheit zu fördern. Schülerinnen und Schüler müssen erfahren, dass Vielfalt gesellschaftliche Realität ist und die Identität anderer keine Bedrohung der eigenen Identität bedeutet.

Die Leitperspektive zielt auch auf die Fähigkeit der Gesellschaft zum interkulturellen und interreligiösen Dialog und zum dialogorientierten, friedlichen Umgang mit unterschiedlichen Positionen bzw. Konflikten in internationalen Zusammenhängen. Erziehung zum Umgang mit Vielfalt und zur Toleranz ist damit auch ein Beitrag zur Friedenserziehung und für die Verwirklichung einer inklusiven Gesellschaft.

Deshalb haben wir uns auch mit vielen anderen Organisationen dafür eingesetzt, dass Friedensbildung mit Hinweis auf Art. 12 der Landesverfassung („die Jugend u.a. zur ‚Brüderlichkeit aller Menschen und zur Friedensliebe‘ zu erziehen“) in den Bildungsplänen als fächerübergreifendes Anliegen stärker verankert wird.

Handlungsfelder der Friedensbildung an Schulen sind nicht nur die Gewaltprävention, sondern auch die Beschäftigung mit friedens- und gewaltfördernden Strukturelementen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, die Auseinandersetzung mit friedens- und sicherheitspolitischen Fragestellungen in einer globalisierten Welt und die Diskussion verschiedener Ansätze für konstruktive Konfliktbearbeitung und internationale Friedensstiftung. Denn die Konfliktherde, aus denen die Menschen zu uns und in andere Länder fliehen, können nicht mit Waffengewalt und Krieg befriedet und bewältigt werden.

Wir erleben, wie politisch rechts, rassistisch und antisemitisch motivierte Gewalt und der institutionelle Alltagsrassismus sowie die weitgehende gesellschaftliche Gleichgültigkeit zu einem Vertrauensverlust und zur Erfahrung verweigerter Zugehörigkeit führen. Es ist unsere Aufgabe, alles dafür zu tun, Kinder, Jugendliche und Erwachsene, mit denen wir zusammenarbeiten, vor Diskriminierungen und Verletzungen zu schützen und sie parteilich zu begleiten.

Der Landesvorstand der GEW Baden-Württemberg hat sich in seiner Sitzung im Dezember für einen diskriminierungsfreien Umgang mit Geflüchteten ausgesprochen. Deutschland darf sich seiner Verantwortung nicht entziehen, den Menschen Schutz und Unterhalt zu bieten, die aus Not ihr Land verlassen, um hierher zu kommen. Daher begrüßen wir die Aktivitäten aller Bildungseinrichtungen, die Flüchtlinge unterstützen, indem sie Kontakt zu Flüchtlingen aufnehmen, Kinder und Jugendliche in das Schulleben einbeziehen und sich an politischen Solidaritätsaktionen beteiligen.

Wir begrüßen die von der Landesregierung umgesetzten Maßnahmen zur Verbesserung der Lage der Flüchtlinge. Kurzfristig wurden 200 zusätzliche Lehrerstellen für das Schuljahr 2014/15 zur Verfügung gestellt. Die Bildungseinrichtungen müssen aber darüber hinaus mit weiteren Ressourcen ausgestattet werden, um das Menschenrecht auf Bildung für Kinder und Jugendliche und Erwachsene, die fliehen mussten, adäquat sichern zu können. Etwa jeder fünfte Flüchtling ist im schulpflichtigen Alter. 

Wir müssen uns diesen Herausforderungen professionell stellen, nur so erreichen wir, dass Flüchtlinge sich willkommen fühlen und sich gut und schnell einleben können. Die GEW fordert das Recht auf Schulbesuch, und zwar nicht erst nach sechs Monaten, wie dies bisher der Fall ist!

Es ist erfreulich, dass Kultusminister Stoch am Wochenende die Ausweitung des islamischen Religionsunterrichts an unseren Schulen angekündigt hat. Islamischer Religionsunterricht in staatlicher Verantwortung, erteilt von staatlich ausgebildeten Lehrkräften kann verhindern, dass sich ein falsches Bild des Islams bei Kindern und Jugendlichen festsetzt.

Ich erinnere heute daran, dass die grün-rote Landesregierung in ihrem Koalitionsvertrag die Einführung des Ethikunterrichts ab Klasse 1 versprochen hat. Sehr bald nach der Regierungsbildung hat sie sich davon verabschiedet. Das sei zu teuer.

Ich sage an dieser Stelle sehr klar: Pegida ist der klare Beweis dafür, dass unsere Gesellschaft allen Kindern und Jugendlichen ein gutes Fundament der Werteorientierung und der Auseinandersetzung mit Religionen bieten muss. Die Unterstützung der moralisch-ethischen Entwicklung aller Kinder und Jugendlichen - Christen, Muslime, Angehöriger anderer Religionen und ohne Religion - ist ein wichtiger Baustein einer demokratischen und toleranten Gesellschaft. Das darf nicht an der Schuldenbremse scheitern! 

Die Würde des Menschen ist unantastbar! Für dieses Grundrecht stehen wir an jeder Stelle ein!